Altes Wissen neu entdeckt
Ich starte meine lexikalische Reise durch das Wissen der Schriftsetzer mit einer Todsünde der Buchgestaltung: das Hurenkind.
Der Begriff bezeichnet die letzte Zeile eines Absatzes zu Beginn einer neuen Seite oder Spalte. Es ist ein Umbruchfehler, der durch Vergrößern oder Verkleinern der Leerzeichen eines Absatzes und/oder Unterschneiden oder Sperren der Buchstaben korrigiert wird.
Als faule Schriftsetzer verrufen waren diejenigen, die den Text an den Autor oder Korrektor zurückgaben und eine Textänderung forderten. Den Text durch andere Wörter länger oder kürzer zu machen, ist nur bei sehr schmalen Satzspiegeln eine Option.
Neulich las ich den Begriff „Witwe“ anstelle von „Hurenkind“. Das ist ein Pseudoterminus, entstanden aus der Übersetzung aus dem Englischen „widow“. Manchmal wird Witwe auch als Bezeichnung für die letzte Zeile eines Kapitels auf einer neuen Seite verwendet. Gibt es eine Steigerung der Todsünde 😳?
Zum Glück ist dieser Fehler heute nur noch selten in Büchern zu finden. Am ehesten wird man in Zeitungen fündig, da hier die Produktionsprozesse sehr schnell gehen müssen und bei aller Kurzlebigkeit weniger Augenmerk auf den Satz gerichtet ist. Häufig dagegen trifft man das Hurenkind in E-Books an, da aufgrund der vielen verschiedenen Geräte und Größen der Satzspiegel variiert. Eine elegante Lösung für dieses Problem gibt es bisher nicht.
Technischer Tipp
Layout- und Textprogramme, wie z.B. InDesign und Word, verfügen über die Möglichkeit mithilfe einer Formatierung zwei oder mehr Zeilen vor und nach dem Seitenwechsel beieinander zu halten.
5 Antworten
Ich hab mir das immer so gemerkt:
Schusterjungen = Schuhe = unten.
Hurenkind = auf dem Strich = oben.
Sehr platt, ich weiss, aber irgendwie hat für mich funktioniert.
Liebe Grüsse – Heike
Liebe Heike,
die Sichtweise macht mich ganz durcheinander, weil sie nicht vom Absatz sondern von der Spalte her denkt. Meine Frau denkt da wie Du, wir sind uns hier nie einig. 😊
Grüßle
Jens
Schön, Jens, dich durcheinanderzubringen ist gleich mal eine Freude!
Ich hab in der Tat noch nie darüber nachgedacht, absatzweise zu denken. Und hab auch nicht verstanden, warum sich die Leute nicht merken können, was was ist. 🤣
Also, bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heisst: «Jens durcheinanderbringen»!
Liebe Grüsse – Heike
Meine Eselsbrücke ist, dass der Schusterjunge als vorlaut galt, daher geht es hierbei um die erste Zeile eines Absatzes. Das Hurenkind hingegen war ein unbeliebtes Anhängsel, daher die letzte Zeile eines Absatzes.
Beim technischen Tipp sei aber auch zu erwähnen, dass wenn man mehrere Zeilen eines Absatzes beisammen hält, diese zwangsweise in die nächste Spalte/Seite verschoben werden. Dadurch können wiederum Leerzeilen entstehen, die nicht zu jedem Layout passen. Es bleibt – so oder so – eine optische Kontrolle nötig.
Schöne Idee, danke für den Beitrag! Interessant ist auch, welche Eselsbrücken zum Merken dieses Ausdruckes von Wolfgang Beinert beschrieben sind. https://www.typolexikon.de/schusterjunge/